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Mythos “Armutsmigration”

Text und Meinung von Michael Gugat

Mythos “Armutsmigration”

Derzeit erleben wir ein klassisches (und zudem besonders widerwärtiges) Agendasetting rund um eine sogenannte “Armutseinwanderung”. Seehofer prescht mit “Wer betrügt, der fliegt” vor, einige CDU- und SPD-Granden sagen “Das kann man nicht machen”, dann meldet sich noch der Bielefelder CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok zu Wort, der allen Bulgaren und Rumänen Fingerabdrücke abnehmen will, um “ausländische Sozialbetrüger” zu entlarven.  Es wird ein bißchen Widerspruch von Seiten des CDU-Präsidiums simuliert und schlußendlich richtet Angela Merkel einen Arbeitskreis “Armutsmigration” ein. Und schon ist “Armutseinwanderung” und “Sozialbetrug” ein Faktum.

Aber ist das alles überhaupt ein Thema, stimmt das überhaupt?

Nein.

Die Süddeutsche Zeitung hat das mal schön aufgedröselt: Was ist dran am Mythos “Armutsmigration”?

Und auch der Tagesspiegel hat einen Faktencheck vorgenommen: Seehofers Grenzen der Freizügigkeit

Der Paritätische hat eine Broschüre zum Thema “Leistungen nach dem SGB II und Zugang zum Arbeitsmarkt für EU-Bürger und ihre Familienangehörigen erstellt.

Demnach ist Deutschland in den ersten drei Monaten gar nicht verpflichtet, arbeitsuchenden EU-Bürgern Sozialhilfe zu gewähren. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das für die Arbeitsagentur forscht, kommt eindeutig zu dem Schluss, dass alle Zahlen nicht darauf hindeuten, dass es eine wie auch immer geartete “Armutseinwanderung” überhaupt gibt. Im Gegenteil: Die Arbeitslosenquote bei Rumänen und Bulgaren ist geringer, als der Durchschnitt, die Bertelsmannstiftung, nicht gerade im Verdacht, eine marxistische Organisation zu sein, beziffert die Zusatzeinnahmen für die deutsche Sozialversicherung auf 14.000,–€ pro Einwanderer im Allgemeinen. Weitere Fakten könnt ihr dem obigen Artikel entnehmen.

Natürlich gibt es Probleme. Diese sind aber eher Problemchen und die derzeitige rechtspopulistische Hetzkampagne verstellt den Blick auf die Diskussion über die Lösung der tatsächlichen Herausforderungen, wie zum Beispiel die Wohnsituation der Migranten in den Kommunen und mangelnde Bildung.

Also: Denkt selbst, lasst euch keine Scheisse erzählen und sagt nicht:  “Bitte verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen!”

Hier weitere Fakten zum Thema Flüchtlinge:

Süddeutsche Zeitung: Asylpolitik – Zahlen gegen Vorurteile

Bundeszentrale für politische Bildung: Flüchtlinge an den Grenzen Europas

Vice-Magazine: Der Vice-Guide zu Asylfragen

Info von Nina:

Tatsächlich hat sich zum 01.01.2014 kaum etwas hinsichtlich etwaiger ALG II Leistungen für Rumänen und Bulgaren geändert. Der Unterschied zum letzten Jahr besteht hinsichtlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dass heißt, dass Bulgaren und Rumänen ab 2014  keine Arbeitserlaubnis mehr beantragen müssen.

Hinsichtlich des ALG bleibt es beim Status Quo, dass arbeitssuchende Arbeitsimmigranten weder Anspruch auf ALG II noch auf Sozialhilfe haben: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__7.html (siehe §7 Abs. 1 S.2 Nr. 1 und 2). Anspruch auf Sozialleistungen im Sinne des SGB II oder des SBG XII (Sozialhilfe) haben bislang nur Aufstocker und Selbstständige. Anspruch auf Familienleistungen wie Kindergeld, Elterngeld oder Wohngeld bestehen nach wie vor:
Interessant ist allerdings in diesem Zusammenhang, dass von einigen europäischen Ländern im Jahr 1953 das sog. Europäische Fürsorgeabkommen (EFA)beschlossen wurde. Das EFA besagt, dass  “den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten… in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und der Gesundheitsfürsorge zu gewähren,…” sind.  Im SGB II gibt es hinsichtlich der Einwanderer aus diesen Staaten keinen Unterschied, was heißt dass sie durch Antragsstellung keine Leistungen bekommen, es ihnen aber im Klageverfahren wohl bewilligt wird: http://www.sozialrecht-in-freiburg.de/ (siehe Neues & Interessantes, zweiter Absatz). Denn das Bundessozialgericht hat im Oktober 2010 entschieden:  “Ein Ausländer, der sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableitet, ist nicht von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen, wenn er vom Schutzbereich des Europäischen Fürsorgeabkommens (juris: EuFürsAbk) erfasst wird.”

 

Guttenbergfliegt